Events | „Der Hahn kräht überall genauso.“ Vortrag von Dr. Alena Wagnerová & Dr. Iris Berndt

Sonntag, 11. September 2022, 17:00  |  Kulturquartier Mönchenkloster in Jüterbog

„Der Hahn kräht überall genauso.“

Alena Wagnerová © KSW

Erfahrungen aus Südböhmen mit den Umbrüchen in der Landwirtschaft 1950/60 und 1989/90 bis in die Gegenwart

Vortrag mit Bildern und anschließender Diskussion von Dr. Alena Wagnerová (Brno-Saarbrücken) & Dr. Iris Berndt (Potsdam)

Es war die Resolution des Informbüros der Kommunistischen Parteien vom 23. Juni 1948, mit der die Kollektivierung der Landwirtschaft, nach sowjetischem Muster der Kolchose, zur verbindlichen Marschroute für alle Länder des Ostblocks erklärt wurde. Für die traditionellen Formen des Lebens und Arbeitens auf dem Lande, bedeutete diese Entscheidung von oben einen schweren Bruch; zumal die sich abzeichnenden Tendenzen zu Entwicklung von Genossenschaften von unten damit abgebrochen wurden.

In der DDR und der ČSSR begann der Prozess der Kollektivierung so gut wie zur gleichen Zeit am Anfang der fünfziger Jahre. Und wer diesen Umbau der Landwirtschaft in der DDR erlebte, oder Kenntnis davon hat, wird in der Geschichte der nordwestlich von Budweis (České Budějovice) liegenden südböhmischen Region Zbudovská  Blata für diese Zeit viele Parallelen finden.

Eine Senke, ein Teil des sog. Budweiser Beckens, hatte hier im Mittelalter die Grundbedingungen für das Leben geschaffen. Blato nannten die Menschen, die die Gegend besiedelten, das Moor, das sie in schwerer Arbeit in fruchtbare Kulturlandschaft verwandelten. Manche Bauernfamilien waren auf ihren Höfen bis über 500 Jahre ansässig und die Kollektivierung, der sich die meisten Bauern widersetzten, wurde für sie sehr hart, nicht zuletzt mit Aussiedlungen und Strafen durchgeführt. Die Folge waren Unzufriedenheit und Armut.

Iris Berndt © KSW

In den sechziger Jahren hat sich die Situation der kollektivierten Landwirtschaft in der Region stabilisiert, manche der ausgesiedelten Bauern durften zurückkehren, die mechanisierte Arbeit wurde leichter, die Löhne höher und man hatte auch Recht auf Urlaub, in der Landwirtschaft bisher unbekannt.

An ihr Leben in den siebziger Jahren erinnern sich die Menschen in Tschechien wie auch hier gerne aber mit Wehmut. Denn die Wende mit der Reprivatisierung bedeutete für sie einen neuen Bruch. Und die Menschen, die die zwei Brüche in ihrem Leben verkraften mussten, wie sahen sie es? ‘‘Hätten die Kommunisten es nur anders gemacht. Der heutige Kapitalismus gefällt mir kein bisschen,‘‘ sagte durch den in sein Dorf eingeführten Klassenkampf hart betroffener Bauer. Und ein JZD Mitglied jüngerer Generation fügte hinzu: „Der Schock, der für meine Eltern die Kollektivierung war, waren für meine Generation die neunziger Jahre.“ Welche Perspektive gibt es für die Zukunft dieser Region?

Mehr Stimmen der Menschen aus Zbudovská Blata werden sie am 11.9. hören und in Bildern die Landschaft und Ensemble des Bauernbarock in den Dörfern erleben können.  

2014 konnte in der Zbudovská Blata in Südböhmen ein mehrjähriges Projekt abgeschlossen werden, bei welchem die Menschen aus den acht Dörfern der Region von ihren Erlebnissen und Erfahrungen erzählten. Das ergab einen gegenüber der „großen“ Geschichtsschreibung viel konkreteren und mitunter auch ganz anderen Blick auf die einschneidenden Ereignisse auf dem Lande im 20. Jahrhundert. 2021/22 konnte die Publizistin Dr. Alena Wagnerová, die an diesem Projekt aktiv beteiligt war, die wichtigsten tschechischsprachigen Texte ins Deutsche übertragen. Gemeinsam mit der Historikerin und Autorin Dr. Iris Berndt erkundete sie zudem 2021/2022 die Region des Niederen Fläming.

Immer wieder stießen sie auf Ähnlichkeiten und kleine Unterschiede in den Prozessen in der Tschechoslowakei und Deutschland – der Vergleich war erhellend und das wollen sie nun in Jüterbog präsentieren. Gefördert wurde das Projekt 2022 durch den Deutsch-Tschechischen Zukunftsfond und die Heinrich-Böll-Stiftung Saarbrücken.

Zurück